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Grußwort
Das Recht, digital
Von Eva Kühne-Hörmann
Staatsministerin der Justiz des Landes Hessen, MdL (CDU)

- Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Becker,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

es freut mich sehr, heute beim LPR-Forum dabei sein zu können.

Als Justizministerin darf ich Ihnen die herzlichen Grüße der hessischen Landesregierung überbrin-gen – auch im Namen unseres Ministerpräsidenten Volker Bouffier.

Das heutige lpr-forum-medienzukunft beschäftigt sich mit „Im Universum der Fiktion – Über ma-schinengenerierte Information und atomisierte Öffentlichkeit“. Ein sehr aktuelles Thema, zu dem ich einige Überlegungen vor allem auch aus rechtspolitischer Sicht beisteuern möchte. Wir müssen uns den Herausforderungen stellen, die die Digitalisierung uns aufgibt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
da wir heute vor allem auch über „Medienzukunft“ und „maschinengenerierte Informationen“ spre-chen, will ich an dieser Stelle aus der Vielzahl der Herausforderungen eine in den Mittelpunkt stel-len: die Gefahren durch Social Bots und die hessische Botnetzinitiative, mit der wir diesen Gefah-ren entgegentreten.

Mit Social Bots lassen sich in sozialen Netzwerken automatisch erzeugte Meinungs- und Nachrich-tenbeiträge verbreiten. Wir sprechen hier nicht über drei oder vier, sondern über tausend- und zehntausendfach verbreitete Beiträge.
Genutzt werden hierzu erfundene oder gestohlene Identitäten. Ob ein Mensch oder ein Social Bot eine Meldung verfasst und verbreitet hat, soll für andere Nutzer der sozialen Netzwerke nicht mehr erkennbar sein. Damit lässt sich maschinengesteuert der Eindruck erwecken, die von den Social Bots verbreiteten Meldungen werden von einer Vielzahl von Menschen für richtig gehalten und inhaltlich befürwortet. Besonders gefährlich ist das natürlich, wenn damit Lügen in die Welt gesetzt werden, um die öffentliche Meinung zu manipulieren: wenn also „Fake News“ verbreitet werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
trotzdem hielte ich es für einen Irrweg, Überlegungen zu einem staatlichen Eingreifen allein an den Inhalten von durch Social Bots verbreiteten Nachrichten festzumachen und die Verbreitung von Fake News über die bereits bestehenden Verbote hinaus zu verfolgen.

Bei der Diskussion über Fake News müssen wir vielmehr die technische Dimension des Problems in den Blick nehmen. Wir müssen bei den Werkzeugen, die die großflächige Manipulation der öf-fentlichen Meinung erst möglich machen, ansetzen – nämlich dem massenhaften Gebrauch von Social Bots als ein Unterfall der Botnetzkriminalität.

Man muss sich, wenn man dieses Problem rechtlich angeht, Folgendes vergegenwärtigen:
Soziale Netzwerke bestehen im Kern aus informationstechnischen Systemen – oftmals aus Servern oder „Cloud“-Strukturen. Wenn man als User in einem sozialen Netzwerk aktiv ist, greift man auf diese informationstechnischen Systeme zu: Man ruft von dort Daten ab, sendet Daten dorthin, speichert Daten dort. Die genauen Rechte und Pflichten der User regeln die Anbieter von Sozialen Netzwerken in ihren Nutzungsbedingungen. Rechtlich sind diese Nutzungsbedingungen allgemeine Geschäftsbedingungen.

Der Einsatz von Social Bots ist nun eine unbefugte Benutzung der informationstechnischen Syste-me. Denn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen – also die Nutzungsbedingungen – verbieten praktisch immer die Verwendung von Social Bots. Dennoch ist diese unbefugte Benutzung als Verstoß gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenwärtig nach deutschem Strafrecht nicht strafbar.

Hessen hat zur Schließung dieser Schutzlücke im Zusammenhang mit der unbefugten Benutzung informationstechnischer Systeme einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht – unsere Botnetzinitiative.
Der Entwurf wird den Einsatz von Social Bots unter Strafe stellen, wenn er – was bereits heute der Fall ist – gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Sozialen Netzwerke verstößt. Der hessische Gesetzentwurf hat im Bundesrat eine Mehrheit gefunden. Er wurde im November dem Bundestag zur Fortsetzung des Gesetzgebungsverfahrens zugeleitet. Ich halte es für sehr wichtig, dass der Entwurf noch vor der Bundestagswahl Gesetz wird.

Zwar lehnen die etablierten Bundestagsparteien den Einsatz von Social Bots einheitlich ab und haben sich mit Selbstverpflichtungen auferlegt, diese nicht zu nutzen. Dennoch bleibt die aus dem Einsatz von Social Bots resultierende Gefahr weiterhin bestehen. Beispiel AfD: Sie hat sich, weil starker politischer Druck entstanden war, formal dazu bekannt, keine Social Bots im Wahlkampf einsetzen zu wollen. An der Ernsthaftigkeit dieses Lippenbekenntnisses kann man aber nicht nur deshalb zweifeln, weil die AfD zunächst anderes behauptet hat.

Sondern auch Recherchen der FAZ vom Februar dieses Jahres wecken die starke Befürchtung, dass eben doch AfD-unterstützende Botnetze zum Beispiel auf Facebook aktiv sind. Es ist aktuell daher nicht absehbar, ob es seitens der konkurrierenden Parteien doch zu einem offenen oder auch verdeckten Einsatz kommen wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wenn es um die Verfolgung von Straftaten in der digitalen Welt geht, ist Hessen sehr gut aufgestellt. Wir haben mit der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (kurz ZIT) auf diesem Ge-biet bereits im Jahr 2010 eine hochspezialisierte Ermittlungseinheit eingerichtet.

Die ZIT bearbeitet hessenweit Ermittlungsverfahren wegen besonders schwerwiegender oder um-fangreicher Internetstraftaten. Sie kooperiert dabei eng mit dem Bundeskriminalamt und dem Hes-sischen Landeskriminalamt. Und sie ist die bundesweit erste Organisationseinheit einer General-staatsanwaltschaft, die ausschließlich zur Verfolgung von Straftaten, die im oder mittels Internet begangen werden, eingesetzt wird.

Die Ermittlungserfolge der ZIT sind deutschlandweit sichtbar. Beispielsweise wurde die Waffe des Amokläufers, der am 22. Juli des vergangenen Jahres in München neun Menschen tötete, über das Darknet verkauft. Die Arbeit der Staatsanwälte der hessischen ZIT hat es möglich gemacht, den Verkäufer zu identifizieren, zu überführen und schließlich zu verhaften.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
unsere Strafverfolgungsspezialisten benötigen natürlich rechtliche Mittel, um Straftaten in der digita-len Welt effektiv verfolgen zu können. In der täglichen Arbeit unserer Experten zeigt sich, an wel-chen Stellen durch die Digitalisierung neuer Regelungsbedarf entsteht.

Ich will hier nur anhand einiger Beispiele zeigen, für welche Phänomene unser Strafverfolgungs-recht bislang keine zufriedenstellende rechtliche Lösung enthält:
- Anonymisierungstechniken wie TOR,
- Verschlüsselung von Kommunikation und Datenträgern,
- auf verschiedene Staaten verteilte Täterinfrastruktur,
- das Phänomen der weltweit tätigen Serviceprovider ohne Behördenansprechpartner in Deutschland,
- die arbeitsteiligen Begehungsweise von Online-Straftaten.

Es fehlt an einer klaren und effektiven Rechtsgrundlage für die Quellen-TKÜ, für die repressive Online-Durchsuchung und für bestimmte Varianten von verdeckten polizeilichen Online-Ermittlungen im Darknet. Neue technische Entwicklungen verlangen aber ein zeitgemäßes Recht.

In diesem Zusammenhang gilt es, notwendige gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, um bessere Ermittlungsmöglichkeiten für Polizei und Staatsanwaltschaft zu schaffen. Denn wenn die digitale Welt kein rechtsfreier Raum sein soll, müssen wir unsere Strafgesetze auch dort durchset-zen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die von mir angesprochenen Themen sind nur ein kleiner Ausschnitt aus einer Vielzahl neuer recht-licher Fragen, die sich aus der Digitalisierung unseres Lebens ergeben. Auf diese Fragen unserer Zeit kann man aber nicht sinnvoll durch gesetzgeberisches Stückwerk antworten. Vielmehr brau-chen wir eine durchdachte und abgestimmte digitale Agenda für das Strafrecht.

Daher habe ich auf der vergangenen Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister einen Beschluss erwirkt, der zum Ziel hat, den gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Bereich des Straf- und Strafprozessrechts zu beleuchten. Auf Grundlage dieses Beschlusses ist unter der Fe-derführung Hessens eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden.

Diese Arbeitsgruppe hat jetzt im März 2017 bereits ihre Arbeit aufgenommen. Bei der ersten Sit-zung hat ein Staatsanwalt von der hessischen ZIT als Experte einen Vortrag gehalten. Er wurde von einem Spezialisten des Bundeskriminalamts unterstützt.

Die Arbeitsgruppe wird unter Einbeziehung von Expertenwissen einen Bericht mit konkreten Vor-schlägen für mögliche Gesetzesänderungen vorlegen. Sie wird Reformvorschläge und Arbeiten zu dem Problemkreis sowie Entwicklungen auf internationaler, vor allem europäischer Ebene berück-sichtigen. Nur auf diese Weise können wir den Gefahren, die die digitale und vernetzte Welt für den Einzelnen und für Unternehmen birgt, wirkungsvoll begegnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die beste Art, Kriminalität zu bekämpfen, ist, sie gar nicht erst entstehen zu lassen. Das ist der Grundgedanke der Kriminalprävention. Und deshalb ist Prävention auch in der digitalen Welt und mit Mitteln der digitalen Welt so außerordentlich wichtig. Hessen ist Präventionsland. Und hier nutzen wir die Vorteile, die uns die Digitalisierung bietet, vor allem auch um junge Menschen zu erreichen.

Letztes Jahr hatten wir einen Schülerwettbewerb „Jugend, Gewalt, Lösung?“ veranstaltet. Schüle-rinnen und Schüler sind aufgerufen worden, kurze digitale Videoclips zu drehen, in denen Sie zei-gen, wie man Mobbing und Gewalt an der Schule verhindern kann. Diese Videoclips wurden auf unseren Onlinespeicher „HessenDrive“ hochgeladen und dann von einer Jury bewertet. Damit haben wir die Jugendlichen in ihrer Lebenswelt und in ihrer Art zu kommunizieren erreicht. Diese Welt ist multimedial und digital.

Ich glaube kaum, dass wir mit dem Wettbewerb erfolgreich gewesen wären, wenn wir dazu aufgeru-fen hätten, handschriftlich verfasste Aufsätze per Post einzusenden. Aber so wurden die Preise für die besten drei Videoclips im Rahmen des 9. Hessischen Demokratietages, der am 2. Dezember 2016 im Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main stattfand, verliehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
über das Recht hinausgehend bleibt es aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Medien-kompetenz zu stärken. Das von der hessischen Landesregierung ausgerufene „Jahr des Respekts 2017“ dient auch diesem Ziel. Denn auch in den Sozialen Netzwerken ist der Respekt voreinander die Grundlage für ein friedliches und erfolgreiches Zusammenleben, für ein Miteinander in der Gesellschaft.

In diesem Sinne wünsche ich auch im Namen unseres Ministerpräsidenten Volker Bouffier und der ganzen Landesregierung dem heutigen Medienforum einen guten Verlauf mit spannenden Beiträ-gen und Diskussionen.
Nun danke ich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Keynote von Herrn Professor Ho-ward.

30. März 2017
Hessisches Ministerium der Justiz