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Grußwort
Die Tempomacher
Von Axel Wintermeyer, Staatsminister und Chef der Hessischen Staatskanzlei, MdL

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Damen und Herren,
Sehr geehrter Herr LPR-Direktor Becker,

als Hessischer Medienminister freue ich mich und finde es gut und schön, dass sich meine „nachgeordnete Behörde“, unsere Landesanstalt, immer wieder hochaktuellen Themen annimmt. Auch ich möchte Sie alle recht herzlich begrüßen!

Das heutige lpr-forum-medienzukunft steht unter dem Titel „Weitergeleitet ins Netz“. Ich bin fast sicher, dass auch ich bereits ins Netz weitergeleitet worden bin, bevor ich überhaupt zum Kern meines Grußwortes gekommen bin. „Bin ich schon im Netz oder rede ich noch?“

Es ist für uns Politiker spannend zu sehen, wie schnell man sich heute bei Facebook und Twitter wiederfindet. Nicht immer sind wir froh über diese ungefilterte Form der Öffentlichkeit. Und wir stellen immer öfter fest: In der digitalisierten Welt verlieren die klassischen Medien immer mehr ihre Informationshoheit. Informationen verbreiten sich heute mit rasanter Geschwindigkeit. Die Nachrichtenmaschinerie läuft rund um die Uhr. Einen Redaktionsschluss gibt es im Online-Geschäft nicht mehr. Und wir Politiker kommen einfach nicht mehr nach. Insbesondere mit belastbaren Informationen, weil die erwartet man von uns. Dabei kann ich mich noch gut an die Anfänge meines politischen Engagements erinnern. Pressearbeit musste und konnte man mehrere Tage im Voraus planen. Und, wir haben Schwarzweiß-Fotos bei Veranstaltungen geschossen, die man zur Not auch selbst zu Hause entwickeln konnte. Alles längst Vergangenheit. Heute ist es nur ein Klick mit dem Smartphone und Sie oder ich teilen ein Bild oder eine Botschaft mit der Weltöffentlichkeit. Fast in Echtzeit.

Meine Damen und Herren, das Netz und seine beinah unbegrenzten Möglichkeiten haben – man mag es beklagen – zu einem grundlegenden Wandel in den Medienhäusern geführt. Noch heute wütet in vielen Redaktionen ein hässlicher Machtkampf. Auf der einen Seite stehen die sogenannten digital Natives, die klassischen Printjournalismus als „Totholzindustrie“ bezeichnen. Auf der anderen Seite scharen sich die analogen Besitzstandswahrer. Sie verweigern sich dem Wandel und sehen den Qualitätsjournalismus durch den Siegeszug des Internets und der Jagd nach Klickzahlen zum unwiederbringlichen Untergang verdammt.
Die Frage stellt sich also: Bleibt der Qualitätsjournalismus auf der Strecke?

Meine Damen und Herren, diese Frage muss man ernsthaft stellen. Wenn Schnelligkeit vor Genauigkeit geht, bleibt für Verifikation und Recherche oft keine Zeit. Meine Damen und Herren, da wird beispielsweise mal schnell die Fußballlegende Pelé für tot erklärt, obwohl der Mann quicklebendig ist! Das ist Journalismus nach Wild-West-Manier. Das verunsichert. Das bedeutet Vertrauensverlust. Was und wem soll ich noch glauben? Meine Damen und Herren, wir brauchen deshalb gerade heute den vielzitierten Qualitätsjournalismus, und ich glaube an seine Zukunft.

Im digitalen Zeitalter werden wir von einer Flut an Informationen überschwemmt. Deshalb brauchen wir gute Journalisten, die für uns diese Flut bändigen und kanalisieren. Sie müssen es sein, die Nachrichten nach Relevanz auswählen, ordnen, sie in größere Zusammenhänge stellen, die Hintergründe erklären und uns dadurch Orientierung geben. Meine Damen und Herren, ganz unabhängig vom Kanal, echte Qualitätsjournalisten setzen nicht für die schnelle, halbgare Nachricht ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Glaubwürdigkeit und Seriosität müssen auch in einer veränderten und manchmal atemlosen Medienwelt immer die Konstanten sein.
Das ist unsere Verpflichtung in einer aufgeklärten Welt. Das ist unsere Verpflichtung, wenn wir uns wirklich ernster nehmen als Quote und Verkaufszahlen.

Das ist aber auch unsere Verpflichtung, wenn wir uns selbst, aber auch die Gesellschaft, vor politischer Manipulation schützen wollen! Auch wir Politiker müssen selbstkritisch sein. Häufig spielen wir dieses Spiel um die schnellste Meldung mit, denn wir wissen genau: Wer sich nicht innerhalb einer gewissen Zeit äußert, der findet in der Berichterstattung über ein Ereignis nicht mehr statt. Wer mal schnell twittert, hat sozusagen einen Startvorteil bei der Meinungssetzung. Die Schnelligkeit kann aber gerade in der Politik auch böse Folgen haben: War die Aussage auch wirklich durchdacht? Stehe ich auch am nächsten Tag noch dahinter? Früher konnte man sich in Ruhe mit seinem Pressesprecher austauschen und die Worte weise wählen. Heute ist man Autor, Redakteur und Verleger in einem. Jeder kann spontaner Nachrichtenmacher sein.

Die – sogenannte – Demokratisierung der Information birgt überdies einen weiteren Nachteil. Was ist mit ärgerlichen Falschmeldungen? Eine Zeitungsredaktion, die etwas auf sich hält, korrigiert ihre seltenen Fehler und entschuldigt sich öffentlich dafür. Auf Facebook sind nach meinem Empfinden wohl ein Drittel aller Meldungen falsch. Doch wer übernimmt dafür die Verantwortung? Ich habe teilweise sogar den Eindruck, dass sie häufig gezielt zur Stimmungsmache eingesetzt werden. Und es kommt noch ein anderer Aspekt hinzu: Als seriöse Meinungsmacher wissen Sie, dass sie eine moralische wie auch eine rechtliche Verantwortung haben. Mal eben ein Bild zu twittern, kann bekanntlich sehr schnell Persönlichkeitsrechte, Urheberrechte und das Datenschutzrecht verletzten.

Der Schaden ist im Gegenzug zu klassischen Medien im Internet auch noch besonders groß. Denn was einmal im Netz war, ist schwer wieder einzufangen. Auch Jahre nach der Veröffentlichung kann einem das noch auf die Füße fallen. Das Netz vergisst nicht. Ganz anders gestaltet sich dies bei Persönlichkeitsrechten, das ist ein weites und komplexes Feld. Medienrechtler unter Ihnen wissen sicherlich um die diversen Entscheidungen deutscher und europäischer Gerichte zum Persönlichkeitsrecht, die wir übrigens meist Caroline von Monaco zu verdanken haben. Aber kennt auch der durchschnittliche Twitter-, Facebook- oder Youtube-Nutzer diese Rechtsprechung?

Ein weiterer Aspekt der heutigen Medienrealität sollte uns ebenfalls beschäftigen: Nicht nur Sender und Empfänger einer Information spielen heute eine Rolle. Zunehmende Macht kommt auch den Vermittlern dazwischen zu, den sogenannten Informationsintermediären. Konkret meine ich damit die großen Internetkonzerne wie Google oder Facebook, denn ihre Algorithmen entscheiden, was uns zu interessieren hat! Und nicht nur das, sie können sogar die Zukunft voraussagen: Wann und wo die nächste Grippewelle anrollt, weiß Google in der Regel noch vor den Ärzten und Gesundheitsbehörden. Thema des letztjährigen lpr-forum-medienzukunft: Big Data.

Neben dem immensen Wissen, das die Internetkonzerne anhäufen, sind sie bereits heute in der Lage, Stimmungen zu prägen. Sie erinnern sich an das Experiment von Facebook, bei dem 700.000 Nutzern eine Zeit lang nur positive Meldungen im Nachrichtenstrom angezeigt wurden. Wissenschaftler konnten im Ergebnis feststellen, dass dies eine positivere Stimmung bei den Probanden hervorgerufen hat. Denkt man dieses Experiment weiter auf politische Prozesse, ergibt sich die Frage, ob hier vielleicht langfristig ein Wechsel in der vierten Gewalt stattfindet.

Meine Damen und Herren, als Hessische Landesregierung sind wir uns dieser Spannungsfelder bewusst und verfolgen diese Themen intensiv. Aber ich muss zugeben, dass hier auch noch viele Fragen im Raum stehen: An welcher Stelle kann Politik regulatorisch ansetzen? Sind politische Prozesse überhaupt schnell genug, um mit der rasanten Entwicklung im Netz Schritt zu halten? Können Hessen oder die Bundesrepublik alleine hier etwas bewirken, oder bedarf es hierauf globaler Antworten?

Das Thema einer einheitlich, konvergenten Medienordnung steht ganz oben auf der medienpolitischen Tagesordnung, eben weil die Situation so ist, wie ich sie eben geschildert habe. Und das ist deshalb so spannend, aber auch schwierig, weil Fragen des Wirtschafts- und Urheberrechts, die der Bund zu regeln hat, mit Fragen des Rundfunkrechts, das bei den Ländern liegt, gemeinsam betrachtet werden müssen. Und dabei habe ich noch nicht die wirtschaftlichen Interessen angesprochen, die man hier berücksichtigen muss. Das ist ein weites Feld, an dem wir intensiv mit den verschiedenen Akteuren und auf vielen verschiedenen Ebenen arbeiten, aber zugegebenermaßen noch lange nicht am Ende sind. Unser Ziel lautet: der Erhalt einer pluralen, offenen, manipulationsarmen Gesellschaft.

Und ich glaube, es gibt hierauf vor allem eines nicht: Schnelle Antworten!

12. März 2015