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Archiv 2014 „Vernetzt und Vermessen”

Pressemitteilung

Über die heimliche Macht der großen Zahlen

lpr-forum-medienzukunft 2014 zum Thema „Big Data“ am 27. März in Frankfurt

Frankfurt am Main, 27. März 2014
Der Begriff Big Data bezeichnet die Sammlung, Speicherung und Analyse großer Datenmengen mit dem Ziel, Handlungsoptionen für die Zukunft abzuleiten. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der LPR Hessen diskutierten am 27. März in Frankfurt Wissenschaftler, Internet-Experten und Journalisten über Chancen und Risiken von Big Data. Das Thema der Tagung mit etwa 200 Teilnehmern lautete „Vernetzt und vermessen: Big Data – eine Revolution und was sie für uns bedeutet“.

Der Direktor der LPR Hessen, Joachim Becker, machte bei seiner Eröffnungsrede auf die gesellschaftliche Dimension aufmerksam, die daraus folgt, wenn menschliches und gesellschaftliches Leben zur Matrix von Zahlenwerten und zum Gegenstand von Daten-Clustern wird: „Unser Verhalten wird vermessen, in einem nie gekannten Ausmaß. Es wird quantifizierbar, und es wird vorhersagbar, wenn Algorithmen Muster in den vernetzten Datensätzen finden.“ Becker konstatierte, einerseits verbinde sich mit dem Zeitalter von Big Data die Hoffnung auf Innovationen.

Andererseits würden wir immer „transparenter, immer durchsichtiger und in unserem Verhalten immer vorhersehbarer“. Deshalb sei es wichtig, sich darüber klar zu werden, wie sich unsere Privatsphäre wann und warum verändere. Schließlich, so folgerte der LPR-Direktor, hätte die „Datifizierung“ aller Lebensbereiche auch Konsequenzen für die Rolle von Medien sowie die „Selbstverständigung der Gesellschaft“.

Nach Ansicht von Viktor Mayer-Schönberger kann Big Data dazu beitragen, besser zu leben, besser zu lernen und besser zu wirtschaften. Der Professor für Internet Governance an der Universität Oxford unterstrich in Frankfurt, Big Data bedeute einen Paradigmenwechsel. Weil sich mehr Daten sammeln, speichern, verarbeiten und analysieren ließen als je zuvor, würden auch Zusammenhänge entdeckt, mit denen vor der Erhebung nicht gerechnet worden sei. Solche Korrelationen dürften zwar nicht mit Kausalität verwechselt werden, könnten aber dennoch wertvolle Muster liefern. In diesem Zusammenhang verwies der Experte auf klinische Daten aus Toronto. Dort sei bei der Überwachung der Vitalfunktionen von Frühgeborenen aufgefallen, dass jeweils etwa 24 Stunden vor dem Ausbruch von Infekten alle Vitalfunktionen der Babys plötzlich äußerst stabil gewesen seien. So könnten Mediziner inzwischen – auch ohne logische Erklärung für den beobachteten Effekt – dem Hinweis der Daten auf eine unerwartete Stabilisierung der Vitalfunktionen folgen und betroffene Frühgeborene rechtzeitig medikamentös behandeln. Mayer-Schönberger plädierte für eine möglichst umfassende Datifizierung unserer Welt, räumte aber auch Gefahren ein: Daten seien am Ende „nur ein Schatten der Wirklichkeit“, die bessere Entscheidungen möglich machen. Wer Daten wirtschaftlich nutze, müsse für die Folgen auch die Verantwortung übernehmen.

Wie Risiken von Big Data aussehen, beleuchtete Peter Schaar. Der Vorsitzende der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz warnte, Daten dürften nicht zum Selbstzweck werden. Dies gelte vor allem für personenbezogenes Zahlenmaterial. Die zentrale Frage laute, welche Daten wir wie erzeugen und welche persönlichen Rückbezüge diese zulassen dürften, regte auch der frühere Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit einen breiten öffentlichen Diskurs über die ethische Dimension von Big Data an.

Schaar forderte im Sinne einer informationellen Selbstbestimmung Möglichkeiten zur Pseudonymisierung, Anonymisierung und Verschlüsselung personenbezogener Daten ein. Es sei nicht akzeptabel, wenn automatisierte Entscheidungen, die allein auf der Analyse großer Datenbe-stände getroffen würden, erhebliche Folgen für den Einzelnen hätten. „Big Data darf kein Machtinstrument werden, das missbraucht wird“, sagte Schaar und kritisierte die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofes, nach der Verbraucher kein Recht darauf haben zu erfah-ren, aufgrund welcher Bewertungsmethoden die Kreditwürdigkeit einer Privatperson beurteilt wird. Die Entscheidung der Karlsruher Richter entspreche vermutlich der Rechtslage, zeige aber auch, dass unsere Gesetze nicht auf die Big-Data-Problematik vorbereitet seien, bilanzierte Schaar.

Der Chef der Hessischen Staatskanzlei, Axel Wintermeyer, räumte eine „gewisse Hilflosigkeit“ der Politik im Umgang mit der digitalen Big-Data-Revolution ein. Der Staatsminister bezeichnete die Dimensionen des neuen Phänomens als „kaum noch erfassbar“. Umso wichtiger sei es, kontinuierlich den Datenschutz zu verbessern. Staat und Gesellschaft müssten bei diesem Thema regulierend eingreifen. Allerdings seien national und sogar EU-weit geltende Bestimmungen angesichts des globalen Internets mit seinen „Daten-Oasen“, also Ländern ohne jegliche Online-Regulierung, nur begrenzt wirksam. Besonders besorgt zeigte sich Wintermeyer in Bezug auf intelligente Geräte oder Systeme, deren Sensoren vollautomatisch „sekündlich Informationen“ an das Internet lieferten. Angesichts solcher Entwicklungen, so zeigte sich der Staatskanzlei-Chef sicher, könne das „Pendel auch wieder zurückschlagen“. Jedenfalls lerne er immer mehr Menschen kennen, die den Versuch starten würden, sich zu „entdigitalisieren“.

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