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Archiv 2017 "Im Universum der Fiktion"

Pressemitteilung

Phänomen Populismus: Kampf gegen Hass, Hetze und Halbwahrheiten

lpr-forum-medienzukunft 2017
zum Thema „Im Universum der Fiktion“ am 30. März in Frankfurt

Frankfurt am Main, 31. März 2017 Politische Debatten werden im Internet – insbesondere im Bereich Social Media – zunehmend von Populismus, Hass, Hetze und Halbwahrheiten bestimmt. Dabei geht es um Lügen oder falsche Fakten, um unsachliche Schwarz-Weiß-Malerei und Feindbilder, um Wut auf das Establishment und scheinbar einfache politische Alternativen. Beim 8. lpr-forum medien-zukunft suchten Experten am 30. März in Frankfurt nach Wegen, um gegen die – oft mit Social Bots computergenerierte – Verbreitung von Unwahrheiten im Internet vorzugehen.

Populismus und falsche Fakten finden sich in sozialen Online-Netzwerken, bei Nutzer-Kommentaren, in Blogs oder auch Portalen wie dem Breitbart News Network. Fritz Iversen bezeichnete die US-amerikanische Nachrichten- und Meinungswebsite Breitbart schlicht als „Kampfseite“. Der Werbetexter gehörte Ende 2016 zu den Initiatoren des Online-Angebotes Schmalbart Network. Dabei handelt es sich um ein zivilgesellschaftliches Projekt, das in der Absicht gegründet wurde, mit Fakten und Aufklärung gegen die antiliberalen Inhalte von Breitbart News zu kämpfen. Ziel sei es, populistische Rhetorik „mit Fakten zu entlarven“, erklärte Fritz Iversen. Außerdem müsse die „Durchsetzungsfähig-keit von Unsachlichkeit, Dauerpolemik und Vorurteilen“ geschwächt werden. Zu diesem Zweck starte-ten die Schmalbart-Aktivisten auch das Online-Angebot Vox Populisti. Dort entlarven Mitglieder des Schmalbart Networks Falschmeldungen von Breitbart und konfrontieren Fake News mit echten Fakten. Fritz Iversen beschrieb das Schmalbart-Netzwerk als „Firma ohne Chef“, die sich bei populistisch geführten Debatten im Internet um Versachlichung und Klärung bemühe. Ähnliche Absichten würden darüber hinaus Online-Initiativen wie Hoaxmap, AfD Watch, die geschlossene Facebook-Gruppe #Ichbinhier oder die Bürgerinitiative Pulse of Europe verfolgen.

Zunehmend sehen sich auch die Social-Media-Redaktionen klassischer Medien bei Nutzerkommenta-ren mit der Verdrehung von Tatsachen oder gar mit unwahren Behauptungen konfrontiert. Ein Team des Bayerischen Rundfunks initiierte deshalb die Browser-App FactFox. Sie soll dabei helfen, auf häufig wiederkehrende falsche Kommentare Antworten zu geben, die nicht jeweils einzeln formuliert werden müssen, sondern aus einer Datenbank mit Fact-Sheets abgerufen werden können. So ließen sich Falschaussagen in Kommentaren effektiv moderieren, ohne jeweils einzeln die richtigen Fakten recherchieren zu müssen, erklärte Miriam Mogge, die beim Bayerischen Rundfunk im Bereich Software-Entwicklung arbeitet. Zahlen und Fakten aus der FactFox-Datenbank erlaubten es, falschen Behauptungen sehr schnell „hochwertige Antworten“ entgegenzusetzen. Sami Boussaid, der ebenfalls beim Bayerischen Rundfunk arbeitet und zusammen mit Miriam Mogge das Start-up FactFox gründete, demonstrierte, wie die neue Plattform mit wenigen Klicks zu inhaltlich falschen Darstellungen in Kommentaren die jeweils passenden Fakten zusammenstellt. Das neue Tool funktioniere als Browser-Extension für Facebook und Twitter, aber auch für normale Internetseiten. Zurzeit werde daran gearbeitet, unterschiedliche Redaktionen samt ihrer Fakten- und Archiv-Datenbestände zu vernetzen, erläuterten die beiden Entwickler. Zurzeit werde versucht, auch den dpa-Newsstream zu integrieren. Auf diese Weise könne schließlich ein „kollaboratives Wissensmanagement“ entwickelt werden, stellte Miriam Mogge ihre Vision einer effektiven Online-Strategie gegen Populismus und unwahre Behauptungen vor.

Um sich im Jahr des Bundestagswahlkampfes gegen Falschmeldungen, Propaganda und Desinformation zu schützen und zu wehren, baut das ZDF gerade ein Team namens #ZDFcheck17 auf. Es gehe darum, Falschmeldungen schnell zu identifizieren, erklärte Yvette Gerner. Die Chefin vom Dienst der ZDF-Chefredaktion berichtete, Ende Mai werde ein Team „mit zehn bis zwölf Kollegen“ gebildet und systematisch umstrittene Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Die Verbreitung der Check-Ergebnisse wird von der Redaktion des heute journal koordiniert. Komplexe Zusammenhänge sollen unter anderem mit Grafiken anschaulich gemacht werden. Zum Experten-Team würden Journalisten, Rechercheure, Big-Data- und Social-Media-Spezialisten sowie Grafiker gehören, erläuterte Yvette Gerner. Außerdem werde mit der First Draft Coalition zusammengearbeitet. Dabei han-delt es sich um einen Zusammenschluss von Medien-Institutionen, die gemeinsam mit Recherchen gefälschte News, Bilder und Videos enttarnen wollen.

Auf die Verzerrung der öffentlichen Debatten im Internet und die damit häufig verbundene schlei-chende Akzeptanz von autoritären Mustern müssten im Wahlkampf auch die Parteien reagieren, forderte Kajo Wasserhövel. Der ehemalige Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfchef der SPD warnte, trotz der jüngsten Wahlergebnisse im Saarland oder den Niederlanden dürften rechtsextreme Bewegungen nicht unterschätzt werden. Manipulationen, die per Social Bot erfolgten, ließen sich aber kaum per Gesetz verhindern. „Da bin ich skeptisch. Solche Probleme muss die Zivilgesellschaft lösen“, appellierte Kajo Wasserhövel an das Engagement von Demokraten in der digitalen Informationswelt. Die Parteien müssten wieder stärkere Bindungen zu den Wählern aufbauen. Dafür seien Dialog und eine verständliche Sprache wichtig. Unter ethischen Aspekten sei es entscheidend, einen „Grundrespekt vor anderen Meinungen“ zu wahren. Der ehemalige Wahlkampfmanager warnte jedoch davor, nach amerikanischem Vorbild Wähler auf der Basis von Nutzerprofilen gezielt mit individuellen Online-Botschaften anzusprechen. Das scheitere ohnehin am strengeren europäischen Datenschutz und berge die Gefahr der Intransparenz. Dieser Ansicht widersprach Joost van Treeck. Er setzte sich dafür ein, Internet-basierte Wähler persönlich zu kontaktieren. So könne eine „Mikroziel-ansprache wie im Tante-Emma-Laden“ erreicht werden und Authentizität entstehen, führte der Professor für Markt- und Werbepsychologie der Fresenius Hochschule Hamburg aus. Wahlkampf-Targeting aber ist umstritten: Die dafür erforderliche Daten-Aggregation persönlicher Nutzerprofile sei „eine Katastrophe“, entgegnete der Gießener Professor für Demokratie- und Demokratisierungsforschung Eike-Christian Hornig. Außerdem seien Wahlprogramme in puncto Individualisierung „nicht endlos dehnbar“.

Am Ende des 8. lpr-forum medienzukunft fasste Lena Jakat, Deskchefin von Süddeutsche Zeitung Online, zusammen, dass Digitalisierung und Social Media für die öffentliche Agenda einerseits eine Erweiterung bedeuten würden, andererseits Algorithmen aber auch Segmentierung und Desinforma-tion der Gesellschaft bewirken könnten. Umso wichtiger sei es, aufgeklärte Staatsbürger in die Lage zu versetzen, Social Bots und Fakes zu erkennen. Wenn Wahrheit, wie für Donald Trump, zum Gefühl werde, gehe es nur noch um „Wahrheitlichkeit“. Im Grunde aber sei diese Krise der Wahrheit „eine Chance für den Journalismus“ und „ein Auftrag“. Journalisten müssten demokratische Entschei-dungen akzeptieren und dürften nicht zu Aktivisten mutieren, appellierte Lena Jakat. Aber sie müss-ten Kontext, Hintergründe und Transparenz liefern. Orientierungspunkt dafür sei ein „mächtiges Narrativ: die Wahrheit“.

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