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Archiv 2017 "Im Universum der Fiktion"

Pressemitteilung

Phänomen Social Bots: Fake, Fiktion oder Fakten?
lpr-forum-medienzukunft 2017
zum Thema „Im Universum der Fiktion“ am 30. März in Frankfurt

Frankfurt am Main, 30. März 2017 Propaganda und Populismus prägen zunehmend das öffentliche Meinungsklima von Internet und Informationsgesellschaft. Sogenannte Social Bots, die als Computerprogramme in sozialen Online-Netzwerken menschliche Nutzer imitieren, führen zu einer Verzerrung der öffentlichen Meinung, indem sie millionenfach Unwahrheiten oder Halbwahrheiten posten. Die Folge: eine zunehmende Erosion des Vertrauens in Medien und demokratische Institutionen. Wie stark befördern digitale Desinformationskampagnen den Populismus? Und was können demokratische Instanzen einer auf Lügen basierenden Destabilisierung der demokratischen Gesellschaft entgegensetzen? Antworten auf diese Fragen suchten Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft am 30. März beim 8. lpr-forum medienzukunft in Frankfurt. Das Thema, mit dem sich etwa 230 Ta-gungsteilnehmer im Palais Frankfurt auseinandersetzten, lautete: „Im Universum der Fiktion. Über maschinengenerierte Information und atomisierte Öffentlichkeit“.

Der Direktor der LPR Hessen, Joachim Becker, betonte bei seiner Begrüßung, längst sei auch der Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung von disruptiven digitalen Kräften erfasst. „Lügen, Verschwörungstheorien und andere Formen von Propaganda werden dabei vor allem in sozialen Netzen gezielt eingesetzt – zum Nutzen einiger Akteure, zum Schaden des Gemeinwesens und der Demokratie“, kritisierte Becker. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an Trumps Begriff der „alternativen Fakten“, an Fake News und die Behauptung des US-Präsidenten, kritische Medienstimmen seien „Feinde des Volkes“. Die Polarisierung politischer Meinung und die Dämonisierung des politi-schen Gegners würden den demokratischen Diskurs in einer offenen Gesellschaft gefährden, mahnte der LPR-Direktor: „Da bleibt kein Raum für Diskurs, für gründliches Abwägen, für die tastende Suche nach Antworten bei komplexen Fragen.“ Becker wies auch darauf hin, dass ausgerechnet das Internet, das als Werkzeug für Partizipation und Aufklärung konzipiert war, genau das Gegenteil bewirken kann. Algorithmen sorgten dafür, dass wir nicht mit dem konfrontiert würden, was wir nicht mögen, was uns fremd erscheine oder was uns herausfordern könnte. Stattdessen seien viele Rezipienten gefangen in virtuellen Kommunikationsräumen, die nur eigene Vorurteile widerspiegeln würden. Wenn dann noch Social Bots vorgäben, echte Menschen in sozialen Netzwerken zu sein, werde Wahrheit zur Fiktion.

Die hessische Staatsministerin für Justiz, Eva Kühne-Hörmann, stellte die von Hessen, Sachsen-Anhalt und Bayern initiierte Social-Bot-Gesetzesinitiative der Bundesländer vor. Weil in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von sozialen Online-Netzwerken wie Facebook Social Bots verboten seien, lasse sich daraus ein Straftatbestand ableiten. So könnte das Betreiben von Social Bots per Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt werden, wenn es gegen die Geschäftsbedingungen sozialer Netzwerke verstoße. Ein entsprechendes Gesetzesvorhaben sei vom Bundesrat beschlossen worden. Allerdings sei die Chance gering, dass der Bundestag die Initiative noch vor der Sommerpause und der heißen Phase des Bundestagwahlkampfes aufnehmen werde. Social Bots machten es schwer, zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden, sagte die Ministerin. Als weitere Bedrohungen der digitalen Disruption für die Demokratie nannte Eva Kühne-Hörmann Anonymisierungstechniken im Internet, die Verschlüsselung von Datenträgern, weltweit operierende Online-Konzerne mit Sitz außerhalb von Deutschland sowie das Darknet und Operationen von Geheimdiensten.

Wie Social Bots Meinungen manipulieren und demokratische Entscheidungsprozesse beeinflussen können, machte der kanadische Professor Philip N. Howard am Beispiel des amerikanischen Präsi-dentschaftswahlkampfes deutlich. Der Informationswissenschaftler des Oxford Internet Institute arbeitet, gefördert vom Europäischen Forschungsrat, an einer empirischen Untersuchung über den Einfluss Computergenerierter und automatisierter Propaganda. Sein Forscherteam konnte nachweisen, dass beispielsweise bei Twitter im Oktober/November 2016 „Pro-Trump-Hashtags“ dominierten, während „Pro-Clinton-Hashtags“ und neutrale Hashtags deutlich seltener auftauchten. Außerdem seien potenzielle Clinton-Wähler mit Anti-Clinton-Propaganda überflutet worden, berichtete Howard. Er sprach von einer „Kolonialisierung“ der digitalen Öffentlichkeit durch Social Bots, die immer besser getarnt würden und sich kaum noch als solche identifizieren ließen. Die Folge: Facebook und Twitter sind nach Ansicht von Philip N. Howard zunehmend verantwortlich für die Verbreitung von Falschin-formationen zu wahlrelevanten Themen.

In Deutschland, so waren sich die Experten beim lpr-forum medienzukunft in Frankfurt einig, spielten Social Bots eine geringere Rolle als in den USA. Auch der Populismus sei ein bisschen weniger gefährlich. Das Beispiel Trump könne für die demokratische Kultur vielleicht eine Art Katharsis-Effekt bewirken, urteilte Bettina Gaus. Die politische Korrespondentin der tageszeitung (taz) argumentierte, dass viele potenzielle Protestwähler jetzt erfahren müssten, dass Trump im politischen Alltag scheitere. Wenn in den USA darüber hinaus das System aus Checks und Balances funktioniere, könne die Demokratie sogar gestärkt werden. Strategieberater Kajo Wasserhövel, der einst für die SPD Bundestagswahlkämpfe leitete, mahnte dennoch, die Parteien müssten darum kämpfen, die Bindungen zu den Wählern zu verstärken. Seine Empfehlung: Die Parteien müssten weiter um Glaubwürdigkeit kämpfen und für Vertrauen werben – auch wenn mit Ausnahme der AfD 2017 alle deutschen Parteien auf Social Bots im Wahlkampf verzichten wollen. Wasserhövel riet den politischen Kommunikations-strategen der Parteien, sie müssten dringend öffentlich über die Ethik ihrer Kampagnen reden.

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