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Archiv 2016 „Rettet Silicon Valley den Journalismus?”

Pressemitteilung

Die Macht der Algorithmen

lpr-forum-medienzukunft 2016
zum Thema „Rettet Silicon Valley den Journalismus?“ am 10. März in Frankfurt

Frankfurt am Main, 10. März 2016 Algorithmen bestimmen die Suchergebnisse bei Google, die News der Timeline von Facebook und sogar die unterschiedlichen Nachrichten, die einzelnen Nutzern beim Besuch einer Zeitungswebsite angezeigt werden. Dabei sind Algorithmen im Grunde nichts anderes als Berechnungsverfahren, die auf der Basis von Datenmaterial in einem von Menschen standardisierten Prozess zu bestimmten Ergebnissen kommen. Genau diese Methode wird eingesetzt, um im Internet anhand von Nutzerdaten jedem Rezipienten individuell auf ihn zugeschnittene Inhalte zu präsentieren. Das Kalkül dahinter: Mit einer Maximierung von Online-Verweildauer und Klickzahlen sollen möglichst hohe (Werbe)Erlöse erreicht werden. Das Problem: Algorithmen selektieren, filtern und sortieren Informationen nach von außen nicht nachvollziehbaren Kriterien. Die Gefahr: Suchmaschinen, Online-Plattformen und andere Intermediäre prägen längst auch die Meinungsbildung, ohne dass dies den Nutzern bewusst ist. Außerdem entscheiden zunehmend nicht mehr die klassischen Medien darüber, welche ihrer Inhalte das Publikum erreichen, sondern Big-Data-Mechanismen der großen Online-Konzerne aus den USA. Das wurde am 10. März beim 7. lpr-forum medienzukunft in Frankfurt deutlich.

Journalisten und Nachrichtenfaktoren würden bei der Auswahl von Inhalten im Internet an Bedeutung verlieren und durch ein automatisiertes, zirkuläres Kuratieren von Informationen ersetzt, beschrieb Frank Lobigs das Geschäftsprinzip des Online-Business. Der Professor für Medienökonomie am Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund bezifferte den wirtschaftlichen Wert exklusiv recherchierter Informationen „gleich Null“, wenn im Internet alles darauf ziele, zu möglichst geringen Kosten ein hohes Maß an Interaktion und Aufmerksamkeit zu erzielen. Das begünstige Content Marketing und Plattformen von Google, Facebook oder Apple. Katharina Zweig, Professorin des Fachbereichs Informatik der Technischen Universität Kaiserslautern, machte deutlich, dass heute die klassischen Medienhäuser im Internet den direkten Kundenkontakt immer mehr Intermediären oder digitalen Plattformanbietern wie Facebook oder Google überlassen müssten. Diese wiederum würden die Nutzerdaten systematisch auswerten und Algorithmen darüber entscheiden lassen, welche Inhalte wem in welcher Form personalisiert zur Verfügung gestellt würden. „Können Algorithmen wirklich Relevanz messen?“, äußerte Zweig massive Zweifel an der beschriebenen Methode. Sie warnte davor, Algorithmen Entscheidungen über die Rangfolge und Relevanz von Nachrichten zu überlassen. Schließlich forderte die Wis-senschaftlerin eine Ethik und eine Kontrollinstanz, um Algorithmen auf ihre gesellschaftlichen Wirkungen und Nebenwirkungen zu kontrollieren.

Sorge über die Macht von Algorithmen äußerten auch der Direktor der LPR Hessen, Joachim Becker, und der hessische Regierungssprecher Michael Bußer. Beide wiesen darauf hin, es sei gefährlich, wenn Algorithmen Einfluss auf die politische Meinungs- und Willensbildung nehmen könnten. Volker Lilienthal, Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg, kritisierte die Intransparenz der Big-Data-Konzerne. Weil Externen jeglicher Einblick in die Algorithmen verwehrt werde, sei es unmöglich, letztgültig zu beurteilen, ob Google oder Face-book fair mit ihren Partnern und mit der Öffentlichkeit freier Gesellschaften umgingen.

Matthias Schrader, Mitgründer und Vorstandsvorsitzender der Hamburger Digitalagentur Sin-nerSchrader, mochte weder die Kritik an der Algorithmen-Logik von Online-Geschäftsmodellen noch am Content Marketing verstehen. Das von seiner Agentur gegründete Mobilfunkportal Cur-ved.de bietet Content Marketing für E-Plus. Auch das sei Journalismus, betont Schrader. Die treibende Kraft für alles im Internet sei das Publikum. Eine ähnliche Ansicht vertrat auch Nico Lumma. Der geschäftsführende Gesellschafter des Hamburger Unternehmens next media accelerator zeigte sich überzeugt, dass es angesichts der raschen Folge von Online-Innovationszyklen keine Alternative zu Experimenten gebe. Dabei bleibe auch Freiraum für journalistische Projekte. Die klassischen Lokalzeitungen, deren Verlage unter „altertümlichen Strukturen“ leiden würden, ständen hingegen in spätestens zehn Jahren vor dem Aus. Von gemeinnützigen Journalismus-Modellen hält Lumma, der bei der SPD der Medien- und Netzpolitischen Kommission des Parteivorstandes angehört, nichts: „Journalismus muss ein Geschäftsmodell bleiben.“ Medienökonom Lobigs sagte in der von Petra Sorge (Cicero) moderierten Diskussionsrunde, wenn Content Marketing künftig an Glaubwürdigkeit gewinne, werde es journalistische Lücken füllen.

Wie sich Algorithmen von Verlagen einsetzen lassen, um beispielsweise User Generated Content zu sortieren und aufzubereiten, erläuterte Alexandra Föderl-Schmid. Die Chefredakteurin und Co-Herausgeberin der österreichischen Tageszeitung Der Standard berichtete, Algorithmen könnten helfen, wenn es darum gehe herauszufinden, was Nutzer lesen wollten. Außerdem setze die Online-Redaktion von DerStandard.at bereits seit 2005 ein System namens Foromat ein, um mit Algorithmen bei User Generated Content Inhalte herauszufiltern, die nicht den Community-Richtlinien entsprächen. Allerdings sei die Software inzwischen ein wenig veraltet und werde demnächst dank Fördermitteln der Digital News Initiative von Google (208.000 Euro) optimiert. Föderl-Schmid berichtete, virtuelle Plattformen und Intermediäre wie Facebook, Twitter, Instagram und WhatsApp seien wichtig, um Reichweite und Verweildauer zu optimieren. Allerdings dürfe eine Kooperation mit den großen Online-Konzernen aus den USA nicht um jeden Preis angestrebt werden. So stehe sie dem Facebook-Service Instant Articles „sehr skeptisch“ gegenüber und habe sich gegen eine Zusammenarbeit entschieden.

Michael Paustian stellte die neue App Upday vor, mit der sich die Axel Springer SE und Sams-ung derzeit in der Startphase befinden. Der Creative Director des Projektes Upday schilderte, wie 24 Algorithmen für mehr als zwölf Millionen identifizierbare Themenbereiche dazu beitragen sollen, fremde Inhalte so zu kuratieren, dass sie den Interessen der Besitzer von Samsung-Smartphones entsprächen. Zusätzlich aber arbeite auch eine eigene Redaktion daran, bis zu dreißig „Geschichten“ pro Tag zu veröffentlichen. Paustian versicherte, Kooperationspartner erhielten von Upday detailliertere Nutzerdaten als bei Facebook- oder Google-Projekten. Zugleich aber würden keine personalisierbaren Daten erhoben, sondern nur Daten auf Basis der Geräte-Identifikationsnummern.

Mit vergleichsweise wenig Datenmaterial über die eigenen Nutzer muss die Redaktion des interaktiven ZDF-Nachrichtenmagazins heute+ auskommen. Teamleiter Clas Dammann nannte für das im Mai 2015 gestartete Angebot folgende Zahlen: 12.000 Twitter-Follower, 83.000 Facebook-Likes, 370 Interaktionen pro Posting und 62 Prozent der Zuschauer im Alter zwischen 18 und 34 Jahren. Die Sendung heute+ ist von montags bis freitags ab 23 Uhr im Livestream der ZDF Mediathek zu sehen und wird anschließend auch im TV-Programm des ZDF ausgestrahlt. Ziel sei es, Nachrichten verständlich zu erklären, mit Nutzern über „meinungsstarke Inhalte“ online ins Gespräch zu kommen und dabei vor allem junge Zielgruppen anzusprechen.

Wiebke Loosen, Kommunikationswissenschaftlerin am Hamburger Hans-Bredow-Institut, hob in ihrem Fazit der Veranstaltung hervor, dass Digitalisierung und Algorithmen zunächst nicht den Journalismus veränderten, sondern die Geschäftsmodelle, Produktion und Distribution. Dadurch sei allerdings auch die Finanzierungsgrundlage der gesamten Branche betroffen. Für die Zukunft des Journalismus würden das Publikum, soziale Online-Netzwerke und „kommunikative Hybride“ ebenso an Bedeutung gewinnen wie die Tatsache, dass andere Akteure zunehmend „funktional äquivalente Leistungen“ erbringen könnten. Die Zeiten des Gatekeeper-Monopols für Journalisten seien vorbei. Nun kämen neue Instanzen hinzu, zu denen eben auch Algorithmen zählten. Daraus resultiere letztlich Frage, für wie berechenbar wir unsere Gesellschaft eigentlich verstanden wissen wollten.

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